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Urs im Wald

Futur II

Das Wedeli machen habe ich vor mehr als 30 Jahren anlässlich meiner Handholzerausbildung im Emmental kennengelernt. Das Astmaterial der gefällten Bäume wird so zumindest zum Teil als Brennmaterial verwendbar. Da meine cuisinère nur über einen kleinen Brennraum verfügt, schrumpfe ich die sonst einen Meter langen „Wedeli“ auf 25 Zentimeter.

In den bäuerlichen Familienstrukturen des Emmentals war diese leichte Arbeit den „Grossättis“ vorbehalten. Und so ist mir beim Wedeli machen auch der Gedanken gekommen, ob ich wohl in 20 Jahren vielleicht noch die Kraft dazu aufbringen werde, wenn es dann mal für das Bäumefällen nicht mehr reichen sollte.

Ja, wie lange habe ich noch Zeit für diese Arbeiten im Wald, beim Renovieren? Es war vor einigen Jahren diese Sicht in die Zukunft, die mich zum Verfolgen eines Planes und zum Erreichen eines Ziels anregte, um bis hierher zu kommen. „Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähle ihm von deinen Plänen“, meinte dazu Blaise Pascal. Ist es da vielleicht vernünftiger, das Leben nicht auf ein Ziel auszurichten, sondern vom Ende, vom eigenen Lebensende, her zu denken? „Wer möchte ich gewesen sein?“ ist dann die Frage. Die grossen Denker dieser Zeit nennen das das Denken im Futur II. Mit den sechs Zeitformen stehe ich zwar des Öfteren auf Kriegsfuss. Aber dieses Futur II hat es mir angetan. „Der Weg ist das Ziel“ wäre aber eine falsche Folgerung daraus. Denn der Weg bleibt der Weg und das Ziel das Ziel. Aber nicht das Erreichen eines Zieles wird zur alles bestimmenden Frage, sondern wer man auf dem Weg dahin war. Oder gewesen ist? Kack, diese Zeitformen.

Beim nächsten Wedeli machen wird mir wieder Zeit zum Grübeln bleiben.

Die Höhenangst ist überwunden

Bastaings nennen die Zimmermänner (-frauen sind mir leider noch keine begegnet) in Frankreich die Balken, meist aus Fichte und Weisstanne roh gesägt, die vor allem für Dachkontruktionen verwendet werden. Aus etwa 20 dieser Balken habe ich mir zuerst drei unterschiedlich hohe, auf Rädern mobile Gerüste gebaut, um damit gefahrlos bis unter die beinahe sechs Meter hohe Decke arbeiten zu können. Dazu musste ich, um die fünf Meter langen Balken aufzusägen, die ganze Ateliertiefe von 11 Metern ausnützen. Mehrmals habe ich die Kreissäge dabei an ihre Leistungsgrenzen gebracht. Sie hat es überstanden. Nach mehreren Wochen Arbeit steht nun der ganze Ständerbau bis unter die Decke — bereit, um später die Isolation und die Wandverschalung aufzunehmen. Aber vorerst sorge ich wieder für etwas Abwechslung und plane an weiteren Fenstern. Anders als beim ersten Häuschen entwickle ich den Baufortschritt nun von „aussen nach innen“. Wenn alles „aussen“ verbaut ist, werde ich mich anschliessend an den Innenausbau machen. Und erst nach der letzten gesetzten Schraube denke ich an den Einzug — es dauert noch eine Weile, nehme ich an …

Höhenangst

Wenn ich von der neu gebauten ersten Etage auf den Boden des Ateliers hinunterschaue, dann aktiviert sich in mir die Höhenangst und ich klammere mich an alles, was mir mehr Sicherheit gibt. Und wenn ich in die Höhe schaue, dann wird mir noch mehr schwindlig. Ich muss hier eine Trennwand auf über mehr als fünf Meter hochziehen. So kann ich nicht weiterarbeiten. Ich muss mir etwas einfallen lassen. Zuerst wird das Puff aufgeräumt.

Tunnelbau?

Sechs Betonpfeiler an einer Seitenmauer meines Ateliers bilden nun die Unterlage für die Konstruktion der Galerie. Die traditionelle Bauweise hätte die tragenden Balken in die Bruchsteinmauer aufgestützt. Da diese Seite des Gebäudes aber auf natürlichem Untergrund steht, bildet eintretendes Wasser eine ständige Gefahr für das Holzwerk. Dem ist man mit Balken aus Eiche begegnet. Mit diesen armierten Pfeilern gehe ich der Feuchtigkeit aus dem Weg und kann mit heute üblichen Nadelholzbalken arbeiten. Meine Baustelle heisst halt nicht Notre-Dame de Paris.

Bäume verbrennen

Über einen Newsletter habe ich erfahren, dass die Kampagnenorganisation WeMoveEurope eine Unterschriftensammlung für eine Petition unterstützt, die die Europäischen Institutionen dazu aufruft, „die Subventionen und andere Anreize für das Verbrennen von Waldholz zu beenden und an wahrhaft emissionsarme und erneuerbare Energiequellen umzuleiten.“

Dass man sich politisch gegen jedwede Subventionen stellt, kann ich noch verstehen, obwohl das von den Urhebern dieser Petition kaum zu erwarten ist. Aber dass man dazu auffordert, die Subventionen an „wahrhaft emissionsarme und erneuerbare Energiequellen umzuleiten“, lässt meine Stirne runzeln. Welche sollen das denn sein? Hat da jemand das Perpetuum mobile erfunden oder ist das Rätsel um die kosmische Energie des Yoga entschlüsselt und damit unbeschränkt Energie in unserer materiellen Welt zugänglich gemacht worden?

Ich staune und ein Anflug von Scham erfasst mich jetzt immer beim Gedanken, eine Säge an den Stamm eines Baumes anzulegen. Noch mehr aber staune ich über die verirrte Kommunikation der Kampagne. Aus der noch berechtigten Forderung, in aller Welt gigantische Monokulturen und deren periodische Nutzung mittels clear cut für die Energienutzung zu verbieten, wird die Aufforderung, „keinen Baum mehr zu verbrennen“. In den Kommentarspalten der Unterschreibenden werden dann auch prompt Erlebnisse geteilt, wie unangenehm es sei, neben Häusern vorbeizugehen, bei denen ein Kamin rauche. Ob diese Wanderer schon in Kupfer- oder Lithiumminen gelustwandelt sind?

Nun, es bleibt jedem freigestellt, einen Bogen um mein Häuschen mit Kamin zu machen. Aber er oder sie vergibt sich die Möglichkeit, etwas über meinen praktizierten Plenterbetrieb zu erfahren. Sechs Birken liegen noch seit den ersten Tagen des Pandemiebeginns auf dem Waldboden, da ich mich an die strikten Regeln des confinement gehalten und mich nicht mehr aus dem Haus bewegt habe. Höchste Zeit jetzt also, sie vor dem Verfaulen zu retten, denn das Holz hat sich schon etwas dunkler verfärbt. Was für ein toller Arbeitsplatz. Am Fuss einer Birke, die ich am selben Standort vor drei Jahren gefällt habe, zeigen sich schon deutlich die Spuren des Vergehens — aber auch des Werdens.