ursimwald.ch

Urs im Wald

Wasser, Wasser, Wasser

Seit Wochen regnet es praktisch jeden Tag. Nach einem meist sonnigen Morgen verdunkeln gegen Mittag Gewitterwolken den Himmel und die Schleusen öffnen sich. Wolkenbruchartig wird die Natur mit dem kostbaren Nass überschüttet. Das freut die einen. Obwohl sonst nur heimlich unterwegs, zeigen sie sich nun ungeniert oder flitzen über den Weg, wie dieser Salamander. Langsamer ist dieser sang-sue unterwegs. In den sonst eher trockenen Wiesen hüpfen plötzlich Frösche durchs Gras. Nur die Mauerbienen leiden. Von mir vernachlässigt steht ihr Bienenhotel im Regen und trieft von Wasser. Aber das naturnah operierende Hotelmanagement hat sich nach anderen, ruhigeren Gästen umgesehen. Kaum hat sich ein Gewitter jeweils verzogen, heizen wärmende Sonnenstrahlen die Mauer hinter dem Bienenhotel wieder auf. Erstaunlich schnell zeigen sich auch die Mauerbienen wieder und gehen ihrem Brutgeschäft halt dort nach, wo es noch trockene Plätze hat: in den tiefen Ritzen der alten Bruchsteinmauer.

Norme NF C 15-100

Die totale Elektrifizierung und Vernetzung jedes Lebensbereiches geht mir auf den Nerv: automatische Storen, programmierbare Toiletten und sprachgesteuerte Beleuchtung machen gesunde Menschen zu Tetraplegiker. Jeden Komfort geniessen und trotzdem keinen Finger rühren ist die Devise und dabei wird die Vorstellung vermittelt, die volle Kontrolle über alle Lebensbereiche zu haben — bis der Strom ausfällt. Und dann sieht man den Tag nicht mehr, weil die Storen unten sind. Die Toilette muss vom Kübel ersetzt werden und das Licht bleibt gar doppelt dunkel…

So wollte ich mich eigentlich „im Wald“ für den Hausbau auf wenige und einfache technische Einrichtungen beschränken. Denn es gibt durchaus Entwicklungen, die in die andere Richtung laufen: mehr Autonomie, mehr Sicherheit, mehr Flexibilität. Es war meine Vorstellung, die oberen Stockwerke der Häuser ganz ohne elektrische Installationen zu bauen. Nach einem arbeitsreichen Tagwerk, mit vollem Bauch und vielleicht noch mit den News im schläfrigen Kopf könnte man, um nach oben in die Federn zu steigen, sich ein tragbares Licht greifen. Keine Kerze, sondern eine LED mit Akku. Neben das Bett gestellt hätte man jederzeit alles griffbereit, was man braucht, um die Nacht mit allen Eventualitäten zu überstehen. Hätte man … Denn es gibt die norme française. Genauer die NF C 15-100. Sie schreibt vor, wie ein zu renovierendes Haus mit neuen elektrischen Installationen versehen werden muss. So müssen in der Küche nach dem Punkt 10.1.3.3.2 (16 Ampère Steckdosen) mindestens 6 Steckdosen auf einer Höhe ab Boden von ≤ 1.30m montiert werden, davon 4 bei der Arbeitsplatte. Für Küchen mit einer Fläche von ≤ 4 m² sind auch nur drei erlaubt. Jedes Zimmer verfügt über mindestens 3 Steckdosen. In unmittelbarer Nähe zum Lichtschalter, beim Eingang des Zimmer platziert, muss zusätzlich eine nicht geschaltete Steckdose angebracht werden.

Unter meinem Druck, sich auf das Notwendigste zu beschränken, hat der Elektriker im kleinen Zimmer nur 2 Steckdosen montiert. Hoffentlich gibt das keinen Ärger bei der Endabnahme durch den consuel. Aber in der Küche sind je eine Steckdose für den Elektroherd und die Geschirrwaschmaschine parat, obwohl es für beide Geräte gar keinen Platz hat. Das sollte ihn doch noch milde stimmen.

Wieder hochkommen

Zum ersten Mal bin ich mit meinem neuen „Forstfahrzeug“ die ganze Piste zu den Wiesen hinunter gefahren — und mit etlicher Spannung wieder hoch. Denn es sind Wetten am Laufen, ob es gelingt, die 30%-Steigungen zu meistern. Ich bin nun voller Zuversicht, dass das auch mit einer vollen Ladung Brennholz oder Lehm gelingen wird. Völlig souverän klettert das Ding die Piste hoch, so als wäre es kein Strassenfahrzeug, sondern ein Traktor.

La courbe, deutsch das Drehmoment, hat die Entscheidung für einen Diesler ausgemacht. Im ersten Gang steht schon beinahe das ganze Drehmoment bei 5 bis 10 km/h zur Verfügung und erlaubt mir, langsam die steinigen und steilen Passagen zu meistern, ohne die Kupplung zu malträtieren.

Dass die französische Gesetzgebung bei den Umweltabgaben nur den Ausstoss von CO2 als Massstab nimmt, macht den Stinker gegenüber einem Benziner auch noch um 1000€ billiger. Politik halt.

Über die Gleichheit (III/III)

Es wird in der Geschlechterdiskussion nicht nur zu wenig genau hingeschaut und differenziert, es wird auch leichtfertig oder bewusst gemogelt. Es werden Begriffe verwechselt oder ausgetauscht. Oder mit scheinbar kleinen Begriffsverschiebungen oder unscharfen Definitionen wird ein Sachverhalt verzerrt, um Gleichheit herzustellen, wo es keine Gleichheit gibt.

„On ne naît pas femme, on le devient.“ Auch wenn die alte plakative Formel von Simone de Beauvoir als Provokation verstanden werden kann, so entbindet das nicht davon, in einer weiteren vertieften Untersuchung genau zu sein.

Da heute das biologische und soziale Geschlecht unterschieden wird, kann der Satz neu verstanden werden. Die Unterscheidung verpflichtet aber, ihr in weitergehenden Überlegungen auch konsequent treu zu bleiben. Denn wenn das soziale Geschlecht in viele Differenzierungen (60 bei Facebook) aufgefächert wird, so ist es plump und dreist, diese dann durch die beiden biologischen männlich und weiblich in der Geburtsurkunde oder im Pass zu ersetzen oder ein drittes juristisches wie „neutral“ zu fordern.

Mit dem heutigen Wissensstand muss nicht mehr eine Grauzone zwischen den biologischen Geschlechtern angenommen werden. Beim biologischen Geschlecht gibt es zwischen (oder neben) männlich und weiblich gar nix mehr, weder Hermaphroditen, Elfen oder Kentauren.

Der Trick, ich nenne das mal so, einem klar definierten Begriff eine neue Bedeutung unterzuschieben, wird im Kampf um Gleichheit viel verwendet. Er erlaubt, zum Beispiel die Abgrenzungen der biologischen Geschlechter zu verwedeln. So können Zustände uminterpretiert werden, um dann darauf Forderungen nach neuen Gleichheiten abzuleiten, wo es keine gibt.

Zwei Beispiele:

Ich habe nichts dagegen, wenn die Medizin als „weiche“ Naturwissenschaft betrieben wird. Mir sind mit Hilfe des Modells der Homöopathie zum Beispiel viele gesundheitliche Probleme erspart geblieben. Andererseits können viele Vorgänge im menschlichen Körper mit Naturwissenschaft eindeutig und zweifelsfrei erklärt werden.

So wird die in den ersten Schwangerschaftswochen angelegte Weichenstellung zu einem biologischen Geschlecht bestimmend für die weitere Entwicklung der Hormone. Bei Männern folgt der Spiegel des Hormons Testosteron vom Fötus über die Geburt, dem Säuglingsalter und der Pubertät bis hin zum erwachsenen und dann alten Mann einer bewegten Kurve. Nach dem Höhepunkt mit 17 Jahren zeigt die Kurve nun einen Verlauf, der nicht linear, aber kontinuierlich abwärts zeigt. Ein paar Mediziner wollen nun beobachtet haben, dass die Kurve zwischen 40 und 55 Jahren steil abfalle. Es ist mir schleierhaft, wie dieser Rückgang, wie steil er nun auch wirklich sein mag, dazu Anlass geben soll, dabei von den Wechseljahren des Mannes zu reden. Oder vom Klimakterium virile. Sogar der Ausdruck der Andropause wird dazu verwendet. Dabei gibt es überhaupt keinen Hinweis darauf, dass irgend ein Wechsel oder ein „klimaktér“ stattfindet, und schon gar keine Pause. Es handelt sich ganz einfach um einen Rückgang, der zu Beginn nach dem Höhepunkt leicht, in der Mitte des Verlaufs stärker und dann bis zum Lebensende wieder langsamer ausfällt. So wie natürliche Prozesse halt so verlaufen. Es gibt sicher für diese Art des Verlaufs einen wissenschaftlichen Namen. Und ich kann mir denken, dass der Hormonrückgang bei den Frauen nach dem gleichen Prinzip verläuft. Aber halt mit einem anderen Ende. Am Schluss ist hier ein Wechsel von fruchtbar zu unfruchtbar vollzogen, die Fruchtbarkeit ist über den „klimakter“ abgestiegen und die Pause bleibt bis zum Lebensende bestehen. Während im Gegendatz dazu der ältere Mann sich immer noch mit seinem restlichen Testosteron beschäftigen darf…

Man könnte mit dieser Dummheit, den männlichen Hormonverlauf dem weiblichen gleichzustellen, noch einigermassen leben. Fatalere Auswirkungen hat aber die Vermischung mit dem Phänomen der Midlifecrisis. Dieses psychosoziale Ereignis betrifft bekanntlich in unserer Gesellschaft ja vor allem Männer. Da es sich oft mit dem beschleunigten biologischen Altern zeitlich überlagert, sind gegenseitige Beeinflussungen beider „Leiden“ ja nicht auszuschliessen. Aber unsinnig wird es, mit medizinischen Eingriffen die Midlifecrisis bewältigen zu wollen. Eine Hormontherapie wird ja kaum Antworten auf die Sinnfrage liefern, Karriereängste mindern oder Partnerschaftsprobleme lösen.

Dieser an Männern betriebene Unsinn ist zwar nicht in der Gleichstellungsfrage direkt für politische Forderungen nützlich. Aber er führt zu einer Verunsicherung und Nivellierung der männlichen Identität. Und das wäre dann auch schon die halbe Miete.

In einem zweiten Beispiel für eine Begriffsmanipulation im Dienst von Genderfragen geht man schon direkter zur Sache.

Auch wenn die Reproduktionsfreiheit nicht unter den Menschenrechten erwähnt wird: die Freiheit zu wählen, ob man Nachkommen will, mit wem, mit welchen Mitteln und zu welchem Zeitpunkt, wie viele Kinder man will — diese Freiheit soll unbestritten sein. Aber dieser Freiheitsbegriff wird auch missbraucht.

Offensichtlich wird das in einem Aufsatz, den Frau Dr. iur. Andrea Büchler, Professorin für Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Zürich und Frau Dr. Bleisch, Philosophin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an verschiedenen Universitäten, in der NZZ veröffentlicht haben. Das vom Bundesrat gestützte Verbot der Leihmutterschaft wird dort mit dem Hinweis bekämpft, dass es anmassend sei, das Verhalten von Wunscheltern und Leihmüttern, moralisch zu werten. Unter dem Untertitel „Reproduktionsfreiheit“ schreiben sie: „Besonderer Schutz gebührt dem Kind. Wenn der bundesrätliche Bericht festhält, die Eignung der Wunscheltern zur Elternschaft könne nicht überprüft werden, weshalb Leihmutterschaften die Adoptionsbestimmungen zum Schutz des Kindeswohls unterliefen, werden allerdings unterschiedliche Dinge verglichen. Bei der Adoption geht es um das Wohl bereits geborener Kinder, deren Chancen man bestmöglich ausgestalten möchte. Die Leihmutterschaft hingegen ist ein Verfahren, das auch infertilen Paaren Reproduktionsfreiheit zugesteht. Die Reproduktionsfreiheit anderer mit Eignungstests einzuschränken, ist nicht legitim.“

Unabhängig davon, ob die Begründungen des Bundesrates für ein Verbot der Leihmutterschaft stechen oder nicht: Die Leihmutterschaft ist kein Verfahren, das infertilen Paaren Reproduktionsfreiheit zugesteht. Denn infertile Paare sind nicht zur Reproduktion fähig. Sie sind infertil, unfruchtbar, eben reproduktionsunfähig. So wie bei einer Adoption nicht von einem Reproduktionsvorgang gesprochen werden kann, so führt auch eine Leihmutterschaft nicht zu einer Reproduktion, ausser das Kind entstammt aus den Keimzellen der zukünftigen Eltern.

Diese Verwechslung des biologischen Begriffs der Reproduktion mit dem sozialen der Elternschaft hat es in sich, wenn dann die Gleichstellung von hetero- mit homosexuellen Paaren gefordert wird. Ein bisschen mogeln und schon ist alles gleich. Wo bleibt hier die Moral?

Zwischenbilanz

Am 4. April 2016 bin ich in Frankreich angekommen mit dem Ziel, die beiden Häuser bewohnbar zu machen und den Wald zu erschliessen. Ohne Zeitplan. Mit bloss rudimentärem Budget. Mit vielen Ideen und Plänen. Und mit nur vagen Vorstellungen.

Nun, nach diesen beiden Jahren kann ich sagen, dass in der Zwischenbilanz die Tatsache am schwersten negativ ins Gewicht fällt, dass ich noch immer nicht in einem der Häuser wohnen kann. Das Leben auf den 10m2 der Zwischenlösung ist zwar nicht beschwerlich. Aber es ist schon frustrierend zuzusehen, wie langsam sich das Projekt entwickelt. Es ist nicht so, dass etwa „nichts vorwärts geht“. So steht im Wald und im Garten alles bereit. Für Wasser, Abwasser und Strom sind alle Anschlüsse gemacht. Aber auf dem „kritischen Pfad“ des Projekts mit dem Ziel zu wohnen, wird gebummelt oder gestreikt. Es ist nun der Moment, auf ein, zwei Unternehmer den Druck massiv zu erhöhen. Da muss ich mich selbst an der Nase nehmen. Ich habe zwar damit gerechnet, dass man mañana auch ins französische übersetzen kann. Aber alles hat seine Grenzen.

Ich bin heute an Ostern wieder mal in die Hochebene hoch gestiegen, wo in mühsamster Handarbeit über sicher mehr als eine Generation hinweg die Felder von den Steinen befreit und gleichzeitig massive Einfriedungen erstellt wurden. Die ältesten Nussbäume an den Feldrändern haben einen so respektablen Umfang, dass sie sicher über mehr als zweihundert Jahre Geschichte erzählen könnten. Das stützt den Gedanken, dass Zeit eine relative Dimension hat. Was sind schon zwei Jahre. Hauptsache, es war spannend und anregend. Immerhin nimmt mich die französische Administration langsam zur Kenntnis. Es besteht die grosse Chance, dass ich in Frankreich Steuern bezahlen darf. Auch das steht in der Zwischenbilanz auf der Erfolgsseite. Ich bleibe dran.