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Urs im Wald

Meine neue Einheit

Gewöhnlich misst man den Aufwand für eine Arbeit in Einheiten der Zeit: Stunden, Tage oder Wochen. Bei der Arbeit an der neuen Stützmauer zähle ich aber anders.

Um diesen letzten Stein der Mauer neu zu platzieren, musste ich ihn ausbuddeln. Auf seiner Hinterseite wurde eine Gravur sichtbar, die ihn als Sturz für einen Hauseingang ausweist: ein spezielles Stück. Mit seinem Gewicht von über 400 Kilogramm fiel mir der Entscheid nicht leicht, um die Gravur nicht auf dem Kopf stehend lesen zu müssen, ihn umzudrehen. Also musste er ganz aus seinem angestammten Platz herausgeholt, auf seine Füsse gestellt und noch um seine Achse gedreht werden.

Hier liegt er nun bereit, um wieder zurückgeschoben zu werden.

Dieses ganze Manöver hat mich nun eine ganze meiner neuen Arbeitseinheiten gekostet: immer wenn ich meinen Rücken zu spüren bekomme, höre ich auf und gehe unter die Dusche.

Die ganze Mauer wird mich mehr als ein Dutzend Rücken kosten. Besser aber zwölf gesunde Rücken als nur einen, aber kaputten.

Wem die Signatur „1790 + F + R“ zugeordnet werden kann, wird wahrscheinlich nie bekannt. Die Geschichte des Dorfes ist nur rudimentär dokumentiert. Aber die beiden Kreuze sind vereinfachte Okzitanerkreuze und weisen aus, dass wir uns hier zwar an seinem nördlichsten Rand, aber doch noch im Pays d‘Oc befinden.

Ein Tag später…

… und alles ist ganz anders als gedacht.

Man erzählt sich hier, dass man vor hundert Jahren noch aus mehr als dreissig Kaminen hat Rauch aufsteigen sehen. Es müssen somit also etwa zwanzig Wohnhäuser mehr gestanden haben als heute. Von einem Haus an diesem Platz ist noch ein Kellerraum erhalten, hinter dieser Mauer versteckt und etwa 6m2 gross. Die Mauer, die ich für eine kleine Stützmauer gehalten habe, ist also Teil eines ehemaligen Wohnhauses. Zwei grosse Kalkplatten bilden das Kellergewölbe und sind auf der Mauer aufgestützt. Die Mauer neu zu bauen heisst, den Kellerraum dadurch zu zerstören. Mal schauen, wie ich dabei vorgehen muss, um nicht selbst Schaden zu nehmen. Irgend jemand muss diesen Keller mal zugebaut und bewusst nicht ganz aufgefüllt haben. Das besorge ich nun. Kellerräume habe ich genug.

Soll ich oder soll ich nicht?

Welches Projekt ich jeweils als Nächstes anpacken will, lasse ich mir nach Lust und Laune einfallen. In den letzten Wochen habe ich im Inneren des zweiten Hauses den Gewölbekeller frei gelegt.

Um einen ebenen Fussboden zu bilden ist das Gewölbe mit etwa 10 Kubikmeter Material zugedeckt gewesen, bestehend aus verschieden grossen Steinen, die wahrscheinlich zum Zeitpunkt des Baus mit feuchtem Lehm gebunden wurden. Mit der Zeit aber (wie lange das wohl her ist?) ist alles ausgetrocknet und hat keinen festen Untergrund mehr gebildet. Die Bodenplatten sind wie auf einer Gröllschicht „geschwommen“ und sind bei Belastung eingesunken. Deshalb musste alles raus, natürlich schön ausgesiebt und getrennt nach Qualität zur Wiederverwendung.

Ein paar Tonnen Steine liegen nun in der Mitte des Raumes auf dem Gewölbe. Etwa 20 m2 Bodenplatten werde ich draussen wieder auf dem Hof verlegen können und etwa drei Kubikmeter staubige Erde liegen im Garten und sichern das Bord zum Bach ab. Wie viel Staub ich bei all dieser Arbeit geschluckt habe, weiss ich nicht. Wie gut FFP2-Masken schützen, haben wir ja alle mal erfahren…

Wenn ich die Detailpläne der Inneneinrichtung fertig habe und die Kanalisationsrohre am richtigen Ort verlegt sind, werde ich den Gewölbekeller wieder mit den gelagerten Steinen zudecken. Jetzt aber mit einem mageren Beton gebunden.

Also auf zum nächsten Projekt. Eigentlich ist alles mit den Behörden vorbereitet, damit ich den Elektroanschluss ins Haus verlegt bekomme. Nun hat der zuständige Projektleiter letzte Woche mir angezeigt, wo das Fundament für den Elektrokasten gegossen werden soll. Nicht auf, sondern in diese Mauer.

Monsieur Roume meinte, ich solle von diesem Stein da ein Stück wegsägen und diese beiden auf die Seite schieben, dann hätte er Platz für das Fundament. Uff. Da liegen auch Steine drin, die gut und gerne 300 Kilo schwer sind.

Es hat ein paar Tage gebraucht bis ich mir im Klaren war, dass kein Unternehmen in den nächsten Tagen diese Arbeit mit schwerem Gerät erledigen kann und ich wollte den Termin für den Anschluss einfach nicht bis zum Nimmerleinstag hinausschieben lassen. Also was nun? Soll ich dieses Projekt selbst anfassen oder soll ich nicht? Mit im wahrsten Sinne blossen Händen.

Beim genauen Studium der Mauer ist mir auch aufgefallen, dass ein Grossteil dieser lose verlegten Steine sich offensichtlich durch eindringendes Wasser mit den Jahren langsam verschoben haben. Über kurz oder lang hätte die ganze Mauer also sowieso neu aufgebaut werden müssen. Ein Entscheid musste her. Projekt Nummer 99 war geboren: Ich mach’s. Hoffentlich bleibt der Rücken gesund.

Nulltoleranz hat einen Preis

Mein Kampf mit oder gegen die campagnoles ist diesen Winter eskaliert. Da ich die Wühlmäuse in der Nähe meiner Bepflanzung toleriert habe, ist es ihnen immer wieder gelungen, meine vergrabenen Schutzgitter um den Safran zu umgehen. Ich habe zunehmend das Gefühl bekommen, dass Safranknollen ihre bevorzugte Nahrung geworden ist. So ist mir halt der Kragen geplatzt. Ich habe mit zwei weiteren Fallen aufgerüstet und im Umkreis von etwa 30 Meter rund um meine Safranpflanzen eine Zone der Nulltoleranz definiert, um beim Erscheinen eines neuen Erdhügels sofort zu interveniert. Innert weniger Tage ist es mir gelungen, etwa ein Dutzend der Viecher zur Strecke zu bringen. Hier das letzte der Sippe.

Etwa ein Drittel meiner gepflanzten Knollen ist verschont geblieben und hat sich den Winter über gut entwickelt. Aber letzte Woche ist ein neuer Hügel erschienen. Zwar etwas vom Safran entfernt, aber doch innerhalb des Interventionsperimeters. Mit etwas gemischten Gefühlen habe ich die Fallen platziert und beim zweiten Versuch ist auch eine zugeschnappt. Und hat tatsächlich den Falschen erwischt.

Es ist nicht das erste Mal, dass es einem Maulwurf das Leben gekostet hat. Im Gegensatz zu den Wühlmäusen, die es immer mit einem Genickbruch ereilt, so klemmt es den Maulwürfen jeweils nur eine Pfote ein. Die beiden Bodenwühler müssen eine ganz unterschiedliche Technik haben, um sich in den Gängen fortzubewegen. Da sie sich offensichtlich der gleichen unterirdischen Infrastruktur bedienen (der Pflanzplätz befindet sich auf einer Schutthalde aus alten Wohnhäusern und somit mit vielen Hohlräumen) und ich die oberirdischen Haufen nicht unterscheiden kann, so bezahlen nun die Maulwürfe unverdient für meine Politik der Nulltoleranz. Und gleich noch meist mit einem leidvollen Lebensende, denn mit einer eingeklemmten Pfote sind sie nicht sofort tot. Diesem Maulwurf ist offensichtlich jemand zu Hilfe gekommen, der ihn auch im Genick noch angefressen hat.

Ob ich nun den nächsten Safranreis noch geniessen kann?

Auf dem letzten Drücker

Gerade noch rechtzeitig vor einer längeren Regenperiode konnte ich gestern etwa ein Dutzend Bäume fällen. Danach, vermute ich, wird das grosse Spriessen im Wald das Bäumefällen verhindern. Aber nicht rechtzeitig konnte ich mein Tagwerk abschliessen. Die einbrechende Dunkelheit verhinderte, dass ich die Piste noch freilegen konnte. Jetzt warten noch etwa acht Ster Holz am Boden, verarbeitet und ins Trockene gebracht zu werden.

Ein Grund dafür, dass ich immer wieder auf mein Programm in Verzug gerate, ist die mangelnde Erfahrung, Theorie zügig in Praxis umzusetzen.

Der Standardablauf von Keil- und Trennschnitt muss immer wieder am einzelnen Baum angepasst werden. Sowieso sind die Eichen hier meist aus Strunkausschlägen gewachsen. Einzeln sind die Bäume von schwachem Durchmesser und stehen, sich gegenseitig abweisend, schief. Das bringt die Versuchung mit, sie einfach glatt und sogar ohne Keilschnitt abzusägen. Sie fallen dann in der natürlich gewachsenen Richtung. Das geht meist gut. Aber eben nur meistens.

Hier wurde mir die Routine des Tages beim letzten zu fällenden Baum zum Verhängnis. Er hatte eben nicht genau die von mir geschätzte Neigung. Beim Fällschnitt hatte ich erwartet, dass er sich langsam zur Fallkerbe hin zu neigen beginne. Aber nicht so. Urplötzlich und kaum sichtbar bewegte er sich in die andere Richtung und verklemmte die Säge. Es blieb mir keine Zeit, das Schwert ganz zurückzuziehen. Ein paar hundert Kilo lasten so auf der Säge. Dabei kommt ein eigenartiges Gefühl auf, plötzlich das wichtigste Arbeitsinstrument zu verlieren. So etwas wie Hilflosigkeit, denn das war mir noch nie passiert.

Aber die ganz grundlegenden Kenntnisse und Erfahrungen aus meinem Handholzerkurs sind einfach Gold wert. Die Mittel, um eine Hobelzahnsäge nicht im Fällschnitt einklemmen zu lassen, sind auch hier anwendbar, um das Schwert wieder aus der Umklammerung zu lösen. Motor abgeschraubt und Keile mit heftigen Schlägen eingetrieben: der Baum wurde angehoben und fiel dann auch über die Fallkerbe in die andere, vorgesehene Richtung.

Auch wenn der Tagesablauf durch solche Ereignisse jeweils etwas in Verzug gerät - die Freude, das Problem gemeistert zu haben, überwiegt. Und immer möglichst gesund bleiben dabei, ist die Devise.

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