Diktatur, easy made
Wenn klein Nathan in der Untergrundbahn nicht sofort auch eine Maske verpasst bekommt, fordert er sie mit Nachdruck ein. Das urmenschliche Bedürfnis, dazu zu gehören, nicht ein Sonderfall zu sein, macht es für grosse und kleine Diktatoren leicht, einmal durchgesetzte Massnahmen aufrechtzuerhalten. Allerdings sollten diese einen Sinn ergeben, gut begründet und konsistent sein und immer wieder in Erinnerung gerufen werden. Sind sie nicht mehr angebracht, dient es der Sache, sie sofort anzupassen oder ganz fallen zu lassen.
Das wird hier geradezu beispielhaft vorexerziert. Im ÖV gilt noch die Maskenpflicht und nachlässige Passagiere werden sofort und bestimmt angesprochen. Bei der Einreise wurde unser Impfstatus demonstrativ nicht mehr kontrolliert, da dies beim Check-In schon in der Schweiz passierte. Im Strassenverkehr gelten Regeln, aber wenn sie offensichtlich obsolet sind, werden sie einfach ignoriert. Das heisst, Regeln, Gesetzte, sind kein Selbstzweck, sondern dienen der Gesellschaft zu einem friedlichen Miteinander.
Dass für eine grosse Anzahl arbeitender Menschen als „Fremdarbeiter“ eigene Regeln erstellt und so eine formelle Zweiklassengesellschaft geschaffen wurde, kann nicht übersehen werden. Hinten auf der Pritsche der kleinen Baustellentrucks klebt links ein Schild mit der erlaubten Höchstgeschwindigkeit des Trucks, rechts eine Zahl, zum Beispiel „12 Pax“: es dürfen zusätzlich zum Baumaterial maximal 12 Personen — workers — geladen werden…
Ganz abgesehen davon, dass auch in freieren Gesellschaften für Arbeitnehmer Gesetze nicht nur zu deren Schutz bestehen, sondern je nach Status sie auch zu Objekten der „Ausbeutung“ machen: es gibt auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit noch viel zu tun. Nicht allen wird wie klein Nathan zugestanden, dazuzugehören. Noch sind wir nicht alle gleich.
Da sind wir. In einer anderen Welt. Mit anderer Kultur. Und wenn Hitachi sich freut, Mitte Oktober die ganze Orchard Road in Singapur mit Weihnachtsdekoration ausschmücken zu dürfen, dann muss sich definitiv etwas in meinem Leben geändert haben. Für zwei Wochen versuche ich das nun zu ergründen. Zusammen mit Jacqueline und kompetent geführt durch meine eurasische Familie vor Ort lebend. Auf geht‘s.
Am ersten Tag sind drei Blüten erschienen. Am zweiten sieben und dann einmal mehr als ein Dutzend.
Feinste Fingerarbeit ist hier nun gefragt. Vorerst etwa hundert rote Fäden sind der Lohn für 15 Monate Geduld. Vielleicht könnten es mehr sein, denn die als Ersatz für die gefressenen Knollen neu gesetzten Zweijährigen haben sich noch rar gemacht. Aber meine Abreise in ganz andere Welten steht an und ich muss mein kleines Paradies für eine Weile verlassen: In Singapur erwarten mich Ben, Jerline, Nathan und Max.
Einige Wochen lang hat mich diese alte, langsam zerfallende Steintreppe oberhalb des Ateliers beschäftigt. Sie stellte eine Gefahr für jeden dar, der sie benützen wollte. Sie musste neu gesichert werden. Gleichzeitig soll eine an der Aussenwand entlang ausgelegte Folie verhindern, dass bei Regen das Wasser in die Mauer einsickert und ins Atelier eindringt.
Steine, ausgesiebt aus der Gartenerde, dienen als Bedeckung und werden so von mir als recycelten Wertstoff geschätzt.
Fertig. Uff. Ich hoffe, dass diese Lösung mir mindestens für 25 Jahre Ruhe vor eindringendem Wasser bietet.
Auch an der diesen Frühling begonnenen Stützmauer habe ich weitergebastelt. Wie überall versuche ich auch hier, mit dem Material, das ich lokal vorfinde, zu bauen. Das ist dann halt auch mal ein Kalkstein, der 200 Kilo wiegt. Möglichst den Rücken schonende Arbeitstechnik ist hier gefragt. Hier liegt er nun in seinem Bett aus Beton. Diese Art von Stützmauerbau habe ich vom maçon übernommen. Nur finde ich es schöner, wenn das Moos und andere Pflanzen die Steine möglichst rasch wieder kolonisieren. Sie verkürzen zwar, sagt man, die Lebensdauer der Konstruktion. Aber diese Mauer dürfte mir mehr als 25 Jahre lang dienen. Vielleicht sind es auch 250. Reserve genug also…
Kalksteine findet man oft an den Bauten. Aber im Wald besteht der Untergrund meist aus einem rötlichen Felsen, der leicht splittert und deshalb wenig im Bau verwendet worden ist. Diese Eigenschaft des Felsens war mein Glück, denn etwa zwei Kubikmeter Felsen haben sich nach einem Gewitter gelöst und sind auf die Piste gedonnert.
Etwa tausend Schläge mit dem Spalthammer später ist alles zerkleinert und weggeräumt. Zwischendurch sehne ich mich nach einem Ausgleich mit weniger grobschlächtiger Arbeit.
Das noch nicht in Dachrinnen gefasste Regenwasser des Daches hat eine Bruchsteinmauer unterspült. Nur um wenige Zentimeter haben die stürzenden Steine die Karosserie meines beim Haus abgestellten Autos verfehlt. Nochmals Glück gehabt. Und schon mache ich mir Gedanken, welche Mauern sonst noch von Einsturz gefährdet sind. Ich muss meine Projektliste also schon wieder anpassen und vielleicht doch noch den Dachdecker anrufen, damit die Wassermassen vom Dach künftig in das Reservoir abfliessen können und dann wäre es nicht nur mit zehn, sondern mit 13 Kubikmetern aufgefüllt worden. Genug, um wieder drei Monate ohne Regen auszukommen.