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Urs im Wald

Der Kontrast könnte nicht grösser sein

Heute Vormittag sind auf der Baustelle meines Nachbarn Frédéric 15 Kubikmeter Beton zu einer Decke seines neuen Hauses vergossen worden. Zack. Und ich beginne zu sinnieren, wie viele Stunden ich in den letzten drei Jahren mit meinem etwa gleich grossen Dreckhaufen verbracht habe, damit daraus einmal ein Sitzplatz wird. Aber eben: die Rechnung kann zwar schon nur mit dem jeweiligen Zeiteinsatz gemacht werden. Aber was bringt mehr Befriedigung?

Das muss ich heute Abend noch mit mir ausmachen. Morgen geht’s (vielleicht) weiter.

Fertig! Das heisst fast …

Das ist sie nun: die Stützmauer, die den Hang des Sitzplatzes gegenüber der Strasse sichert. Auf drei Etagen jeweils 10, 8 und 6 Meter lang, gesamt 3 Meter hoch und mit einem Gesamtvolumen von 17 m3 hat sie mir einiges an Schweiss gekostet. Dass ich für diesen Bau einige Kubikmeter Sand und etwa 25 Säcke Zement verbraucht habe, hat mir hier von Trockenmauerfans zwar auch Kritik eingebracht. Aber die 15 Kubikmeter Steine habe ich alle aus der Schutthalde vor Ort ausgebuddelt und unverarbeitet mit dem Beton „zusammengeklebt“. Für einen Bau ohne Zement hätte ich ein Vielfaches an Rohmaterial gebraucht und dann nur mit gigantischem Aufwand für die Bearbeitung der Steine bezahlt.

Vielleicht etwa ein Drittel der vorgefundenen Steine sind mal bearbeitet worden — wahrscheinlich noch zu einer Zeit, als das Steinmetzen unter einer Art von Sklavenarbeit verrichtet wurde. Mit der französischen Revolution sind nicht nur die Adligen einen Kopf kürzer geworden, sondern auch deren Schlösser und Burgen geschleift worden. Mit behauenen Steinen dieser Bauten sind dann die alten Mauern der Häuser zusammen mit naturbelassen Steinen mit einem Mörtel auf Kalkbasis aufgebaut worden. Das macht sie für Witterungseinflüsse empfindlich, vor allem wenn die Dächer nicht absolut dicht sind. Somit wird meine Zementmauer, den Witterungseinflüssen ausgesetzt, mit den Mauern der Häuser ums weitere Überleben wetteifern. So ein paar hundert Jahre könnte das schon dauern…

Die Vollendung der Mauer habe ich mit einer Flasche Rosé mit meinem Nachbarn gefeiert. Aber fertig ist ja noch nichts: jetzt beginnt die Plackerei mit der Planierung des Sitzplatzes. Etwa 5 Kubikmeter Material am Boden müssen in die Bestandteile Erde, Kies und Bruchsteine umgewandelt werden. Erst dann kann ich mich auf einem neuen Sitzplatz in den Liegestuhl legen.. Wie immer setze ich mir dafür keinen Termin. So vermeide ich, enttäuscht zu werden

Erst mitten drin oder schon bald fertig?

Bei bisher jedem Projekt stellt sich bei mir jeweils die Frage, wie lange es noch dauert, bis ich endlich damit fertig bin. Wenn ich mir die verschiedenen Steinhaufen bei dieser Baustelle für eine Aussenterrasse ansehe, dann schwant mir schon, dass ich meine gesetzte Zeitlimite nicht erreiche. Aber immerhin weiss ich nun genau, wohin jeder Stein definitiv zu liegen kommt, nachdem ich ihn schon zweimal hin und her bewegt habe. Und deshalb steigt bei mir die Hoffnung, dass es diesmal reicht: bald fertig! Wobei: was heisst schon bald?

Wenn das nur gut kommt

Ich habe es nicht selbst erlebt, weil ich längere Zeit für Wichtigeres abwesend war (Stichwort Singapur). Aber meine Nachbarn erzählten mir bei meiner Rückkehr von schrecklich kalten und nassen Tagen, die sie mehrere Wochen lang aushalten mussten. Nach sommerlichen Tagen schon im März hat das Wetter auf Winter umgestellt, was am Nussbaum im Garten seine Spuren hinterlassen hat. Die durch die frühe Wärme provozierten frischen Austriebe sind glatt erfroren. Für lange Zeit hatte ich den Eindruck, der Baum sei abgestorben. Aber mit einigen warmen Tagen haben sich nun doch noch neue Blätter gezeigt. Und seither scheint sich der Baum langsam zu erholen.

Mit der Klimaerwärmung hat sich die Forstwirtschaft dazu entschlossen, vermehrt Wärme liebende Baumarten anzupflanzen. Da aber Klimaentwicklung kein monokausaler und stetiger Vorgang ist, werden die neugepflanzten Bäume in Zukunft immer wieder einer harten Probezeit ausgesetzt. So wie der wärmeliebende Nussbaum werden auch sie unterschiedliche, lange und garstige Perioden überleben müssen. Um den Nussbaum mache ich mir keine grossen Sorgen, denn ich schaffe es auch ohne Baumnüsse. Aber für den Wald kann sich ein zu stark forcierter Umbau der Artenwahl fatal auswirken. Es ist eine reine Spekulation auf die Zukunft. Man hat sich durch zu einseitige Betrachtungsweise auch mit der Fichte schon verspekuliert.

In meinem Wald werde ich keine neuen Baumarten pflanzen und lasse dort einfach den natürlichen Vorgängen den Vortritt. Aber die Überlegung, ob ich auf meinen Wiesen auch einige der empfohlenen Edelkastanien anpflanzen soll, muss ich noch ein paar mal überschlafen und schaue nochmal genauer die Standorte an, auf denen sie nicht weit weg von meinem Wald sehr gut gedeihen.

Eine andere Frage stellt sich natürlich: Was habe ich persönlich von den ersten Marroni, die in zehn Jahren reif sein werden? Auch so eine Spekulation…

Man hat nie ausgelernt

Mit sechs Nähten musste mir ein Interne en Médecine Générale in der Notfallaufnahme die klaffende Wunde am linken Unterarm wieder schliessen, die ich mir bei der Arbeit im Wald zugezogen habe. Dabei feixte er ausgiebig über seine Nähkünste, die er bei meinem Vorgänger, gleich neben mir liegend, schon anwenden konnte. Ich brauchte im Gegensatz zu diesem keinen Sauerstoff, um den Anblick der Wunde zu ertragen. Aber auch ich habe gestaunt, wie viel Fettgewebe neben venösem Blut aus meiner Schnittwunde quoll. Gleichzeitig zur konzentriert ausgeführten Arbeit konnte er mit seiner Erfahrung meine These bestätigen, dass bei manuellen Arbeiten weniger Unfälle passieren, wenn sie allein, und nicht im Team ausgeführt werden. Gleich kürzlich hätte ein Handwerker einen heftigen Schlag auf seinen Kopf erlitten. Nicht absichtlich von einem Kollegen mit einem Hammer ausgeführt.

Natürlich habe ich Glück gehabt, dass der Schnitt nicht tiefer reichte und meine Sehnen ganz blieben. Und wie immer konnte ich mich auf meine Nachbarn verlassen, die mir bei der Suche nach ärztlicher Hilfe beistanden.

Und was habe ich dabei gelernt? Die Arbeit mit dem Gertel, einem grossen Messer mit vorne ausgebildetem Haken, ist eigentlich nicht problematisch. Man kann damit kleine Astschnitte ausführen und vor allem mit dem Haken bequem liegende Trämel anstechen und anheben. Ich habe ihn jetzt aber verwendet, um einen schweren zwei Meter langen liegenden Rundling zu ziehen. Das allein wäre nicht problematisch, aber dummerweise wollte ich ihn mit der anderen Hand anheben, damit er sich im Untergrund nicht eingräbt. Der zu wenig eingestochene Gertel hat sich vom Stamm gelöst und ist an meinen linken Unterarm geschnellt.

Erste Lektion: der Gertel soll immer fern vom Körper geführt werden und sicher nicht in der Nähe des anderen Armes. Zweitens: Französisch nennt man einen Gertel une serpette.